| Nr. 6, Februar 2007 |

Berliner Biedermeier im Stadtmuseum

Wie sich bürgerliches Selbstverständnis in Zeiten politischen Stillstands fortentwickelte

von GERHILD H. M. KOMANDER

Als sie zur Welt kam, hatte die Jungfernbrücke über den Cöllnischen Stadtgraben eben ihre neue Gestalt erhalten. Im nächsten Jahr gelang Franz Carl Achard auf seinem Gut Kaulsdorf die Herstellung von Zucker aus der Runkelrübe und Napoléon Bonaparte der Putsch gegen die französische Revolutionsregierung. Johann Caspar Hummel richtete in der Kirchhofstraße, die heute Ziegelstraße heißt, die erste Maschinenbauanstalt Berlins ein.

Henriette Knoblauch, geborene Keibel

{mosimage}Henriette Keibel, Tochter aus gutbürgerlicher Familie, erlebte als Kind nicht nur die Jahrhundertwende, sondern auch eine Zeitenwende. Die kurze Zeitspanne ihres Lebens, von 1798 bis 1821, umfasst politisch den Aufstieg des Korsen zum Kaiser der Franzosen, den Untergang Preußens in den Napoleonischen Kriegen, eine kurze Blüte der Reformen nach dem Sieg über Napoleon und den Beginn der Reaktion, jener Zeit, die die hoffnungsvollen Reformen fast zunichte machte.

Am 10. Januar 1818 heiratete Henriette Keibel den jungen Kaufmann Carl Knoblauch (1793-1859), dessen Familie wie die Familie Keibel in der Textilbranche einigen Wohlstand erwirtschaftet hat. Sie kannten sich seit frühester Kindheit, waren Cousin und Cousine. Persönliche Zuneigung führte zur Eheschließung und unterstützte die Zusammenführung beider Firmen in wirtschaftlich sehr schwierigen Zeiten.

Der Anhänglichkeit Carl Knoblauchs an die Frühverstorbene und der Großzügigkeit der heutigen Familienmitglieder ist es zu verdanken, dass das Stadtmuseum im Knoblauchhaus eine geschlossene Raumausstattung weiblichen häuslichen Lebens in der Ausstellung zeigen kann.

Ein Haus, als wäre die Familie eben aus der Tür heraus

Die Ausstellung erhält ihren ganz eigenen Reiz durch die Authentizität des Ortes. Kein zweites Haus im Berliner Altstadtkern hat die Zeitläufte wie das Knoblauchhaus fast unbeschadet überstanden. Kaum eine Familie hat so viele Dinge des alltäglichen Lebens bewahrt wie die Familie Knoblauch-Keibel. Die pastellfarbene Fassung von Wänden und Türen, das Mahagoni- und Seidenplüsch-Mobiliar, die Dekorationsstücke aus Eisenguss, Porzellan und Gemälde sowie Arbeitsmaterialien der Hausfrau und der Seidenkaufleute, Erinnerungsstücke der Familie befinden sich am Ort des Familien- und Arbeitslebens – fast als hätte die Familie eben das Haus zum Kirchgang verlassen.

Sekretär, Nähtisch, Sofa, Musikinstrument, runder Tisch: Das sind die charakteristischen Wohnmöbel des Biedermeiers. In der Bibliothek, die das Wirken Carl Knoblauchs abbildet, spiegeln die Ausstattungsstücke die Tätigkeiten als Seidenhändler, Stadtrat und Abgeordneter der Preußischen Nationalversammlung, Kuratoriumsmitglied der städtischen Gewerbeschule und Schatzmeister des Vereins der Kunstfreunde.

Der Bücherschrank enthält die Werke William Shakespeares, Pierre Corneilles, Alexandre Dumas' und Johann Joachim Winckelmanns. Auch Cervantes „Don Quichote" fehlt nicht. Die Bände „Hermite en Provence" und „Reise des jüngeren Anacharsis durch Griechenland" weisen darauf hin, dass die Familienmitglieder mehrsprachig gebildet und in großem Maße an Kultur interessiert waren.

Die Architekten Knoblauch

Der Architekt Stadtverordnete Eduard Knoblauch, Bruder des Kaufmanns, begegnet den Gästen des Hauses im Erkerzimmer des Obergeschosses. Sein bekanntestes Bauwerk ist die neue Synagoge in der Spandauer Vorstadt. Die Ausstellung zeigt Entwürfe und Pläne seiner Hand: Wohnhaus Kühn in der Kreuzberger Oranienstraße, Villa Volckart in der Tiergartenstraße und Krollsches Etablissement – besser bekannt als Krolloper. Eduard Knoblauch gilt als einer der führenden Privatarchitekten Berlins. Eine ausführliche Monographie zu seinem Werk gibt es nicht.

Gustav Knoblauch führte das Architekturbüro des Vaters fort. Von seinem Werk hat sich in der Luisenstadt die Luisenstädtische Bank am Schultze-Delitzsch-Platz erhalten. Gustav Knoblauch, der ebenfalls als Privatarchitekt tätig war, beteiligte sich erfolgreich als Bauunternehmer und Bodenspekulant in Kreuzberg.

Voller Stolz bewahrte die Familie die Urkunden der Väter. Die Bestellung zum unbesoldeten Stadtverordneten, die Aufnahme in die Akademie der Künste. Sie sind auch Zeugnisse der politischen Ohnmacht, die das Bürgertum durch den wirtschaftlichen Erfolg teilweise kompensierte.

Stadtmuseum Berlin

Knoblauchhaus, Poststraße 23, Mitte
Telefon: 240 02 - 162
Öffnungszeiten: Di. und Do. bis So. 10.00 bis 18.00 Uhr. Mi. 12.00 bis 20.00 Uhr
Eintritt frei. Es wird um eine Spende wird gebeten.

Leseempfehlung:

{mosimage}Jan Mende: Berliner Leben im Biedermeier. Knoblauchhaus, herausgegeben vom Stadtmuseum Berlin, Berlin 2007

Annette Bossmann und Andreas Teltow: Drei Berliner Architekten in Berlin. Eduard Knoblauch 1801-1865. Gustav Knoblauch 1833-1916. Arnold Knoblauch 1879-1963, Berlin 1993

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- © gerhild komander 2/07 -

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