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"Die Lieblingsschwester Friedrichs des Großen"

Wilhelmine in der Historiographie

Ähnlich wie Friedrich II., der am Ende "der Große" wurde, weil er die Schlachten um Schlesien gewann und über Maria Theresia und ihren kaiserlichen Gemahl triumphierte, nicht aber durch seine Laien-Philosophie und seine Schlösser, wäre Wilhelmine heute außerhalb der ehemaligen Grenzen ihrer Markgrafschaft allein aufgrund ihres Wirkens für die dortige Kunst und Kultur längst der Erinnerung entrissen, wären da nicht ihre Memoiren, die sie in einer Zeit höchster seelischer Bedrängnis niederschrieb. Die Memoiren, heute noch im Taschenbuch käuflich zu erwerben, sichern der Markgräfin einen Platz in der Reihe der Tagebuch-Literaten. Aber warum? Das zeigt die Rezeption der Memoiren seit ihrem Erscheinen im Jahre 1810.72 Die Memoiren wurden als Gegenstand der historischen Prüfung und Beurteilung, zu Zwecken der Propaganda und Abschreckung genutzt und mißbraucht. Die Frau dahinter hat als Verfasserin einer Skandal-Geschichte des mächtigen Preußen interessiert, nicht als Zeitgenossin.

 

Wilhelmines Biograph Richard Fester fragte in seiner Einleitung 1902: "Darf man es Droysen verübeln, daß er im Eifer für eine gute Sache sogar der Frauenehre Wilhelmine's zu nahe getreten ist? Darf man sich wundern, daß in der biographischen Ruhmeshalle der Nation, in der >Allgemeinen Deutschen Biographie<, der Markgräfin eine Schandsäule errichtet wurde, vor der jeder Fritzisch Gesinnte das Kreuz schlägt? Die Memoiren sind historisch werthlos. Ihre Verfasserin ist ein entarteter Sprößling des Hohenzollernstammes. Den Bayreuther Landen war sie durch ihre maßlose Verschwendungssucht eine Landplage. So ungefähr lautete das letzte Wort der Droysen'schen Schule über die Lieblingsschwester Friedrich's des Großen."73 Und er fährt fort: "Aus der Kritik des Buches ist so allmählich eine Anklage der Verfasserin, keine Charakteristik, erwachsen. Auch ihre jüngsten Beurtheiler betonen doch zu wenig, daß ihre Persönlichkeit Anspruch darauf hat, von Neuem gehört zu werden, daß man ein zartes Pastellbild aus dem mächtigen Prunkrahmen der preußischen Geschichte heraus nehmen muß, wenn es nicht erdrückt werden soll. (...) Wir müssen den Versuch wagen, die Markgräfin nicht durch ihre Memoiren, sondern die Memoiren durch die Markgräfin zu charakterisieren."74

 

"Gott sei Dank, diese Zeiten sind vorbei!", möchte man ausrufen, aber weit gefehlt. Meyers Enzyklopädisches Lexikon von 1979 zählt außer den Lebensdaten der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth nur noch auf, daß sie als Mitwisserin der Flucht Friedrichs II. verhaftet und 1731 zur Ehe gezwungen wurde. Spätere Lexika wiederholen diese Angaben und geben an, sie habe ein überkritisches Bild des preußischen Hofes gezeichnet. Andere erwähnen sie gar nicht erst. Heute kann die alte Sekundärliteratur zu den Memoiren Wilhelmines als überholt und unbrauchbar für deren Beurteilung gelten. Die Sozialhistorikern Ingeborg Weber-Kellermann leitet die Ausgabe des Insel Verlags mit "eine(r) andere(n) Möglichkeit der Interpretation" ein, einer kulturgeschichtlichen. Ihr glänzendes Vorwort betrachtet "das Leben der Großen und Kleinen" von unten. "Mit den Augen einer Prinzessin" beleuchtet sie die Familie und familiäre Rollen, Werte und Normen und das Frauenleben, Themen, von denen Historiker wie Droysen nicht einmal träumten. Weber-Kellermanns "Urteil" lautet dementsprechend anders: "So zeigt sich das höfische Frauenleben dieser Epoche als eine entwicklungsunfähige, dem Untergang geweihte Lebensform. Wilhelmine mag diese Morbidität ihrer Epoche und ihrer Gesellschaftsschicht zuweilen gespürt haben. (...) Sie konnte kaum ahnen, wie sehr ihr mit dieser hocharistokratischen Familiengeschichte ein ganz ungewöhnliches Zeitgemälde gelungen ist, auf dem die Menschen nicht posieren, sondern leben in den tradierten und zwanghaften Verhaltensmustern, die ihre Zeit ihnen vorschrieb."75 Daraus erhellt, daß die Ablehnung Wilhelmines durch die preußischen Historiker einen gewichtigen Anteil Nichtachtung der Frauen im Staat Brandenburg-Preußen enthält, mit Ausnahme der Königin Luise, denn die von Weber-Kellermann beobachteten Zusammenhänge erachtete man für unbedeutend, wenn man sie überhaupt sah.

 

Wenn die Biographen Wilhelmines aus der Kaiserzeit sie als "Lieblingsschwester Friedrichs des Großen" titulieren, mag das vielleicht noch durchgehen. Doch dieser Beiname scheint unvermeidlich bis in unsere Zeit. Selbst der Dehio Franken76 bezeichnet bei der Beschreibung der Fürstengruft in der Schloßkirche zu Bayreuth Wilhelmine ergänzend als "Lieblingsschwester Friedrichs des Großen." Wird sie nicht tatsächlich - möglicherweise außerhalb Bayreuths - zuerst und fast ausschließlich als die Schwester des großen Königs, aus der Perspektive Friedrichs II. gesehen? Die Bayreuther Ausstellungskataloge von 1958 und 1959 verzichteten jedenfalls darauf.77 Wenn 1998 in Bayreuth anläßlich der Ausstellung "Das vergessene Paradies" auch nicht auf den Beinamen "Lieblingsschwester Friedrichs des Großen" verzichtet wird, so erscheint er doch nicht im Titel, zeigt die Ausstellung Wilhelmine als unabhängige Fürstin, Mäzenin und Künstlerin. Die Würdigung, die Wilhelmine und ihr Musenhof darin erfahren, verzichtet bewußt darauf, Wilhelmine als Mäzenin und Künstlerin im Titel der Ausstellung zu titulieren und konzentriert sich auf das Zusammenspiel von Fürstin und Künstlern. Die "Zeit" titelt anläßlich der Ausstellung ganz modernistisch "Wilhelmine in Szene gesetzt," widmet sich bewußt "einer Frau, die eine kleine Residenz ins Rampenlicht rückte und deren Bauwut ein paar architektonische Glanzlichter hinterließ."78

 

Gedenken und Erinnern an historische Persönlichkeiten zeugt von historischem Bewußtsein, in manchen Fällen von Respekt oder schlicht von Bewunderung und Neugier. In Brandenburg-Preußen kann man das nicht mehr tun, wohl aber im Land Brandenburg. Der Herrscher vom Großen Kurfürsten bis Friedrich Wilhelm IV. wurde in der Literatur und mittels Ausstellungen fleißigst gedacht. Seit 1986 erinnerten in Berlin und Potsdam fünf Ausstellungen und Kataloge an den Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm I., Friedrich II., Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm IV. Selbst Prinz Heinrich, Bruder Friedrichs II., wurde bei entsprechender Gelegenheit, der Schenkung von Schloß und Park Rheinsberg durch Friedrich II. vor 250 Jahren, nicht vergessen. Eine Würdigung der Frauen dagegen findet keinen Platz. An die 300. Wiederkehr der Grundsteinlegung von Schloß Charlottenburg 1995 und Königin Sophie Charlotte erinnerte man mit einem feierlichen Abend in der Schloßkapelle. Der 200. Todestag der Königin Elisabeth Christine 1997 verging ohne Aufsehen. Allein das Panke-Museum veranstaltete eine Photo-Ausstellung, zu der Ruthild Deus eine Begleitschrift im Selbstverlag herausgab.79 Zarin Alexandra Feodorowna, gebürtige Prinzessin Charlotte von Preußen, Tochter der Königin Luise, wurde anläßlich ihres 200. Geburtstages mit einem Vortrag in Schloß Paretz geehrt. In der Ausstellung "Alexander II." in Schloß Britz 1998 war ihr als Mutter des Zaren ein Raum gewidmet. Anna Amalie, Äbtissin von Quedlinburg, Komponistin und Schwester Friedrichs II., und Auguste Viktoria, die letzte deutsche Kaiserin, werden wohl ähnliche Gedenktage erfahren - oder keinen?

 

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