Julius Pintsch

Und es ward Licht ...

Julius Pintsch, die Ordnung Gottes und die Berliner Straßenbeleuchtung

 

Vom Klempner zum Fabrikbesitzer: eine typische Berliner Karriere in der Aufbruchstimmung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie begann am 26. April 1843 am Stralauer Platz in Friedrichshain, in einem Keller des Hauses Nr. 4. Hier arbeitete Julius Pintsch, stellte Beleuchtungskörper her, Lampen und Laternen, und reparierte Gasmesser und Leuchten, die vorwiegend aus Großbritannien stammten. Denn sie wurden mit Gas betrieben, nicht mehr mit Öl und Petroleum, und in Berlin gab es zu dieser Zeit keine Werkstatt, keine Fabrik, die mit Gas betriebene Leuchten herstellte.

 

„Nach der Ordnung Gottes ist die Nacht zur Finsternis eingesetzt"

Während in London länger schon Gasbeleuchtung Wohnungen und Straßen erhellte, begann deren Einführung in Berlin 1825 mit dem Vertrag für die Imperial Continental Gas Association (1826 das erste Gaswerk Berlins an der Gitschiner Straße). Nicht jede(r) war begeistert über diese Neuerung. Es gab Bedenken theologischer und anderer Art:

„Weil sie als Eingriff in die Ordnung Gottes erscheint. Nach dieser ist die Nacht zur Finsternis eingesetzt, die nur zu gewissen Zeiten vom Mondlicht unterbrochen wird. Dagegen dürfen wir uns nicht auflehnen, den Weltplan nicht hofmeistern, die Nacht nicht zum Tage verkehren wollen."

 

Die Gasanstalt entsteht am Stralauer Platz

Dennoch setzte sich die Gasbeleuchtung durch, und das war gut für Julius Pintsch. Ende der vierziger Jahre, als das Monopol der britischen Firma auslief, begann die Stadtverwaltung Berlin mit dem Aufbau einer eigenen Gasversorgung und nutzte die Erfahrung der wenigen vorhandenen Gastechnikbetriebe. Die Werkstatt Pintsch profitierte um so mehr, als die von Rudolf Sigismund Blochmann 1844 begonnene Gasanstalt ihren Standort direkt am Stralauer Platz, gegenüber dem 1841/42 als Frankfurter Bahnhof errichteten Ostbahnhof, erhielt. Die Gasanstalt wurde am 1. Januar 1847 eröffnet.

 

Die Firma Pintsch zieht hinterher

1845 war Julius Pintsch in eine Wohnung am Stralauer Platz 5 gezogen, 1846 erhielt er seinen Eintrag in das Berliner Meisterbuch, 1848 kaufte er das Haus Stralauer Platz Nr. 6/7 und baute eine Fabrik. Seinen selbst konstruierten Gasmesser lehnte die Stadtverwaltung zunächst ab. Erst der Bürgerdeputierte Humblot erreichte, dass Julius Pintsch 1851 einen Auftrag zur Herstellung von fünfzig Gasmessern erhielt. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Auftragslage der Fabrik derart positiv, dass Pintsch 1863 eine größere Fabrik in der Andreasstraße 73 eröffnen konnte.

 

Fahrende Gaslampen in 52 000 Eisenbahnwaggons

Filialen in Dresden und Breslau folgten. Die räumliche Nähe zur Königlich Niederschlesischen Eisenbahn (daher Schlesischer Bahnhof) brachte Pintsch einen weiteren lukrativen Auftrag. Er sollte die Eisenbahnwaggons mit Gasleuchten ausstatten. Auch die Königlich Niederschlesische Eisenbahn wollte „den Weltplan hofmeistern" und die Nacht zum Tage machen, waren doch die Wegstrecken, die man nun per Eisenbahn zurücklegen konnte, länger, als die Kritiker der Gasbeleuchtung erlaubten. Die zuvor benutzten Öllampen und Kerzen gefährdeten die Sicherheit von Mensch und Zug.

Die Schwierigkeit, das Gas auch auf der Zugfahrt kontinuierlich in gleichmäßiger Stärke aus dem Druckbehälter strömen zu lassen, überwand Richard Pintsch, der Sohn des Firmengründers, mit seinem Gasdruck-Regulator. Die Nachfrage nach „fahrenden Gaslampen" stieg enorm. 1893 hatte die Firma nahezu 52 000 Waggons mit ihren Beleuchtungskörpern erhellt.

 

Berliner Leuchtbojen an den Küsten der Weltmeere

Eine andere Verwendung für das vielseitige Gas fand die preußische Regierung. Sie erteilte der Firma Pintsch 1867 den Auftrag für den Bau von Torpedos, wodurch Pintsch – wie viele Berliner Fabrikanten tatsächlich – beinahe in die kriegswichtige Industrie eingestiegen wäre (1893 erfolgte der Einstieg unter den Söhnen).

Pintsch-Bojen waren neutral einsetzbar: Pintsch nutzte seine Erfahrungen aus dem Unterseeminenbau und konnte 1877 die ersten Leuchtbojen zwischen St. Petersburg und Kronstadt / /Kronschtadt verlegen lassen. Pintsch-Bojen sicherten den Nord-Ostsee-Kanal und den Suezkanal.

Carl Friedrich Julius Pintsch, der am 6. Januar 1815 als Sohn eines Gartengewächshändlers (Gemüsehändler) in Berlin geboren worden war, hatte die feinmechanische Präzisionsarbeit in der Berliner Gastechnik eingeführt, für seine Arbeiter eine Unterstützungskasse gestiftet und seinen Söhnen zu Lebzeiten eine stabile Firma übereignet. Er starb am 20. Januar 1884 in seiner Heimatstadt und wurde im Familiengrab auf dem Friedhof St. Georgen bestattet.

Gerhild H. M. Komander

 

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt" 2006.

 

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