JuediKrkhsDas Jüdische Krankenhaus
„Gutes wollen, das Beste tun“

Das Haus liegt in der Weddinger Heinz-Galinski-Straße 1. Es verfügt über 343 Betten und einen Stab von etwa 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 20 000 Männer, Frauen und Kinder nehmen jedes Jahr die ambulanten und stationären Dienstleistungen in Anspruch.

 

Die Stadtführung "Juden im Wedding?" finden Sie hier.

 

Was ist noch jüdisch an diesem Krankenhaus? Dr. Uri Schachtel, Chefarzt des Jüdischen Krankenhauses, beantwortet diese Frage mit einer Gegenfrage: „Warum noch?“ Es sei heute, wie es immer war. Es ist der Anspruch, allen Hilfesuchenden helfen zu wollen. Herkunft, Geschlecht und Religion der Person spielen keine Rolle.


Jüdische Familien aus Wien kommen nach Brandenburg

Am 21. Mai 1671 hatte Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst das Edikt erlassen, das fünfzig jüdischen Familien aus Wien erlaubte, sich in Berlin niederzulassen. Es durften nur wohlhabende Menschen sein. So kamen weit weniger als fünfzig Familien in die ärmliche Stadt. Für ihre sozialen Einrichtungen hatten die Juden selbst zu sorgen.

Im Jahre 1703 weihte die Beerdigungsgesellschaft den ersten jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße vor dem Spandauer Tor ein. Er ist als Gedenkstätte erhalten. Im selben Jahr richtete die Gesellschaft der Krankenbesucher das Hekdesch ein, eine heilige, das heißt wohltätige Stiftung.

Das religiöse Gebot der Wohltätigkeit ist für die Juden verpflichtend. Dieses erste Haus der Krankenpflege – seit der offiziellen Rückkehr von Juden in die Mark Brandenburg – lag in der Schmalen Gasse. Die Gasse befand sich zwischen Rosenstraße und Klosterstraße nahe am Friedhof, jedoch innerhalb der Stadtbefestigung. In der Nähe wurde 1714 die Synagoge in der Heidereutergasse eingeweiht.


JuedK OranienIn der Oranienburger Straße

Das kleine Haus war bald zu eng. 1753 erwarb die Gemeinde die Grundstücke Nummer 7 und 8 an der Oranienburger Ecke Große Hamburger Straße für einen Neubau. Damit entsprach sie auch der Aufforderung Friedrichs II., den Friedhof gegen das Schloss Monbijou seiner Mutter abzuschirmen.

Drei Jahre später öffnete das Jüdische Krankenhaus seine Pforten. Im Hekdesch hatten die Gemeindemitglieder alte, kranke und mittellose Menschen betreut und gepflegt, wie es in den christlichen Hospitälern üblich war. Für die späteren Jahre ist bezeugt, dass der Arzt der Gemeinde die kranken Insassen versorgte. Im Haus in der Oranienburger Straße ist die ärztliche Behandlung erstmals von Anfang an selbstverständlicher Teil der Fürsorge. Das Hospital wandelte sich dadurch zum Krankenhaus im modernen Sinne.


Die Köpfe der jüdischen Aufklärung

1760 übernahm Benjamin de Lemos (1711-1789), der schon im Hekdesch tätig gewesen war, die Leitung. Ein Mann, der heute als Vater seiner Tochter bekannt ist: Henriette Herz, die kluge Gastgeberin des ersten Berliner Salons, verheiratet mit dem Nachfolger des Vaters, Marcus Herz. Alle drei standen den führenden Köpfen der jüdischen Aufklärung, nahe: Moses Mendelssohn, Isaac Daniel Itzig und David Friedländer.

Diese Männer setzten sich für die bürgerliche Gleichberechtigung der Juden ein. Mendelssohn übersetzte den Talmud in die deutsche Sprache. Mit David Friedländer verfasste er das Lesebuch für jüdische Kinder in deutscher Sprache. Zu dritt begründeten sie die Jüdische Freischule in der Klosterstraße. Dort wurde erstmals in einer Berliner jüdischen Schule auf deutsch unterrichtet. Dass Kinder und Erwachsene die Sprache ihres Heimatlandes erlernten, schien ihnen unumgänglich.

Für die Bildung und das Selbstbewusstsein aller Mitglieder der Jüdischen Gemeinde waren diese Schritte von großer Bedeutung. Ärzte jüdischen Glaubens konnten ihr Wissen nicht an der Universität erwerben. Das Studium war ihnen verboten (in Preußen bis 1812), weil sie keine Christen waren. Sie bezogen ihr Wissen allein von den medizinisch Gebildeten in der Gemeinde und aus medizinischen Schriften. Wie hoch ihr erworbenes Wissen war, bezeugt die erfolgreiche Behandlung ihrer Patienten schon in den frühen Jahren. 1796 betrug die Sterblichkeit im Französischen Hospital 25 %, in der Charité 15 %, im Jüdischen Krankenhaus 2 bis 3 %.


JuedK 3Wissenschaft in der Auguststraße

Mitte des 19. Jahrhunderts war die Jüdische Gemeinde stark  angewachsen. Das Krankenhaus hatte sich einen sehr guten Ruf auch in der nicht-jüdischen Bevölkerung erworben. Die Kapazitäten reichten nicht mehr aus. Ein Neubau musste her. Am 3. September 1861 eröffnete in der Auguststraße 14 bis 16 das neue Haus.

Das Grundstück grenzt an das der Neuen Synagoge, das Haus erbaute derselbe Architekt: Eduard Knoblauch. Das neue Krankenhaus erhielt die modernste Ausstattung. Jede Etage verfügte über einen Operationssaal, ein Behandlungszimmer, transportable Badewannen und vier WCs. Die Wassertoiletten hatte Carl-Heinrich Esse, Direktor der Charité, konstruiert.

Selbstverständlich ist das Jüdische Krankenhaus immer auch ein Ort medizinischer Forschung gewesen. Ludwig Traube (1818-1876) begründete die experimentelle Pathologie, habilitierte sich 1848 als erstes Mitglied der Jüdischen Gemeinde an der Friedrich-Wilhelm-Universität (HU) und erhielt 1872 eine ordentliche Professur. Der Physiologe Nathan Zuntz (1847-1876) baute das Pneumatische Kabinett, um Bronchitis und Asthma zu behandeln. Sein Verfahren ist heute noch gebräuchlich.


JuedK GalinskiDas Haus im Wedding

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts plante die Gemeinde eine Erweiterung des Krankenhauses. Den Bauplatz fand sie im Wedding, an der Schulstraße. Am 22. Juni 1914 übergab sie das Haus seiner Bestimmung. Wenig später musste das Jüdische Krankenhaus auch als militärisches Lazarett dienen.

James Israel (1848-1926), der als Begründer der Nierenchirurgie weltweite Achtung erfuhr, gestaltete den ersten Lazarettzug, einen Operationssaal auf Rädern, und leitete dessen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg. Den Tausch Taufe gegen Professur hatte er abgelehnt. 1894 war er dennoch der erste Privatdozent jüdischen Glaubens, der Vorlesungen an der Universität halten durfte. „Gutes wollen, das Beste tun“, die Zeilen aus dem Wahlspruch Mendelssohns, galten für Israel wie für viele andere Menschen, die im und für das Jüdische Krankenhaus wirkten.

JuedK LageplanDie „guten Jahre“ von Kaiserzeit und Republik waren schnell vorbei. Den Zweiten Weltkrieg überstanden das Jüdische Krankenhaus und sein Personal nicht. Zähe Verhandlungen mit den Behörden hatten die menschenfeindlichen Maßnahmen der Nationalsozialisten verlangsamt, aber nicht fernhalten können. Im Krankenhaus entstanden ein Gefängnis und ein Sammellager, in dem tausende Menschen auf die Deportation in die Vernichtungslager warten mussten.

Heinz Galinski erlebte 1943 den Transport vom Jüdischen Krankenhaus in das Konzentrationslager Auschwitz, überlebte und kehrte 1945 nach Berlin zurück. Er war 1949 bis 1992 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Stellvertretend für die vielen gequälten und ermordeten Menschen, denen Berlin Heimat gewesen war, erhielt der obere Teil der Schulstraße seinen Namen.

 

Gerhild H. M. Komander

 

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt" 2006.


JuedK SchrifttafelLeseempfehlung: Daniel B. Silver: Überleben in der Hölle. Das Berliner Jüdische Krankenhaus im „Dritten Reich“, Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg 2005

     
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