150 Bhf GesundbrunnenAuf dem Hanne-Sobek-Platz am Gesundbrunnen

Konkurrenz gibt's hier nicht

Der Bahnhof Gesundbrunnen ist ein Fernbahnhof, ist ein Fernbahnhof, ist ein Fernbahnhof...

 

Die Firma G. vermietet Arbeitsbühnen. Das ist auch bitter notwendig, hier am Platz, wenn das Kaufparadies pünktlich öffnen soll. Vorn an der Brunnenstraße sperrt der Bauzaun das Gelände ab. Der rostige Baucontainer wird auch noch gebraucht. Arbeiter schneiden Gehwegplatten zurecht. Das harte Geräusch hallt über den ganzen Gesundbrunnen-Bahnhofsvorplatz. Kundschaft gibt es noch nicht. Die Männer am Zaun schauen den Arbeitern zu, beobachten jeden Handgriff und stören sich nicht an dem Lärm. Sind sie neugierig? Worauf? Neidisch, weil die Arbeit haben? Das männlich-technische Interesse treibt sie vielleicht. Morgen werden die Frauen hier stehen, in der Schlange, lange bevor der Pappriese seine Türen öffnet.

 

Die Neueröffnung bringt nichts Neues. Alle Reklametafeln, die hinter dem Bauzaun zu erkennen sind, die Firmenschriftzüge sind hinreichend bekannt und längst über die ganze Stadt, die ganze Republik – und sicher auch darüber hinaus – verteilt. Vielleicht ist es ein Akt modernen Städtebaus? Die Pappschachtel zieht sich von der Brunnenstraße auf der Höhe des Eingangs zum Rosengarten im Humboldthain bis zur Swinemünder Straße, rechts von den Gleisen, und bildet so ein Gegengewicht (ab dem 9. Oktober nicht mehr nur gestalterisch) zum Gesundbrunnencenter, das nicht nur die Kaufkraft des Viertels aufgesogen hat, sondern sich auch ebenso lang hinzieht wie der Neubau, nur links der Gleise.

 

Zwischen den Kaufparadiesen, deren niedrigpreisiges Warenangebot den Warenhäusern auf lange Sicht den Garaus machen wird, liegt das Teergehügel, das die Deutsche Bahn zunächst Bahnhofsvorplatz, dann Hanne-Sobek-Platz nannte. Damit ehrt sie ausgerechnet einen der Sportler, die den Leuten im Wedding Selbstbewußtsein gaben. Das sieht heute anders aus. Das liegt nicht zuletzt an diesem trostlosen Platz, der nur eine freie Fläche ist.

 

Der Fußballspieler Hanne Sobek (1900-1989) und sein Kollege Hanne Ruch trugen wesentlich zu der Begeisterung für den Fußballclub Hertha B. S. C. bei, als sie 1925 in die Mannschaft eintraten. An Hanne Sobek, den mehrfachen Nationalspieler, erinnert schon seit vielen Jahren der gleichnamige Sportplatz am Weddinger Louise-Schroeder-Platz.

 

Der große, schäbige Platz ist leer. Die Reisenden hetzen von Treppe zu Treppe, um ihr Gleis, ihren Zug zu finden. Es gibt auf diesem Fern- und Regionalbahnhof, dessen Züge nach Oranienburg, München und Warszawa/Warschau und Szczecin Glowny fahren, kein Bahnhofsgebäude. Die großen Plakate, gelb für die Abfahrt, weiß für die Ankunft, hängen zwischen den Abgängen von Gleis 8 und 9.

 

Der erste Zug fährt eine halbe Stunde nach Mitternacht, 0.33 Uhr vom Gleis 10: Über Lutherstadt Wittenberg, Weimar, Gotha, Eisenach nach Frankfurt am Main. Man möchte meinen, das sei die falsche Richtung. 6.42 ist er dort, nur montags. Der nächste Fernzug folgt 5.41 Uhr nach München, eine Stunde später ist Warschau das Ziel. Mit diesem Zug kann man vormittags um 11.08 Uhr in Posen/Poznan sein. Drei Mal am Tag gibt es die Verbindung, aber jedes Mal fährt der Zug von einem anderen Gleis. Gesundbrunnen ist eben nicht Mitte, Gesundbrunnen ist weit weg bei der Deutschen Bahn, Wedding eben. Dennoch: 24 Stunden Zugverkehr, rund um die Uhr, nur ohne Bahnhofsgebäude, dafür mit Hanne-Sobek-Platz.

 

Wen stört's? Wer mehr Komfort will, fährt zum Hauptbahnhof oder gleich nach Tegel, zum Flughafen. Wenn es nicht regnet, hagelt oder schneit, stehen die Fahrgäste auf dem Hanne-Sobek-Platz. Wäre es nicht nett, wenn sie wüßten, wer er war? Das erfährt hier in der Ödnis niemand. Die Wartenden können nicht wissen, dass sein Spielfeld nur einen Katzensprung weit entfernt lag. Diagonal über die Gleise nach Nordwesten geschaut: Dort wo die Betonburg mit den blassockernen und schmutziggrünen Balkonbrüstungen steht, da war's: Da gab es das Fußballparadies – lange bevor am Gesundbrunnen jemand an Kaufparadiese dachte.

 

Gerhild H. M. Komander

 

Der Text erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt" 2007.

 

Zum Weiterlesen:

Sven Goldmann: Nicht mal ein Mitläufer, in: Tagesspiegel online, 2. Dezember 2007

Gerhild H. M. Komander: Hertha, in: gerhildkomander.de, 2007

 

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