Dampfmaschine BeuthKPD und SPD im Kampf um die Vormacht

 

 

Bruderkampf im Wedding

Die Spaltung der SPD - in SPD und USPD - führte der KPD viele Mitglieder zu und verschaffte ihr Eintritt in die sozialdemokratische Hochburg Wedding. Carl Leid konnte nur noch mit der Unterstützung der bürgerlichen Parteien gegen die starke kommunistische Opposition regieren. 1921 hatte die KPD bei den Bezirkswahlen 15,6 Prozent der Stimmen erhalten. 1928 überflügelte die KPD die SPD in den Wahlen zum Reichstag mit 40,4 Prozent um 6,4 Prozent und erreichte vier Jahre später sogar 47,1 Prozent aller im Wedding zur Reichstagswahl (6.11.1932) abgegebenen Stimmen.

Die KPD machte der von der SPD geführten Bezirksverwaltung schwerste Vorwürfe hinsichtlich ihrer gesamten Tätigkeit und ignorierte dabei deren Verdienst bei der Verbesserung der hygienischen und schulischen Verhältnisse für die Arbeiter sowie die positive Entwicklung im Wohnungswesen. Diese betraf nicht nur die von der KPD zu hoher Mieten wegen heftig kritisierten Neubauten, sondern schloß auch die Modernisierung von Altbauten und die Anlage weiträumiger Kleingartenkolonien ein, die über den ganzen Wedding verstreut lagen und bis in die sechziger Jahre noch in größerer Zahl vorhanden waren.

 

Meyer's Hof wird zum Propaganda-Werkzeug

Der in kaum einem Buch zur Arbeitergeschichte des Weddings fehlende Hinweis auf Meyer's Hof in der Ackerstraße 132/33 machte diese 1874 von dem Bankier Jacques Meyer errichtete Wohnanlage zum Synonym für das Wohnungselend der Arbeiter. Meyer's Hof bestand aus einem Vorderhaus und sechs Quergebäuden, von denen das letzte als Verwaltungsgebäude diente.

Die sechs Höfe wurden abwechselnd als Schmuck- und Nutzhöfe entworfen. Die Quergebäude enthielten ausschließlich Eineinhalbzimmerwohnungen, die zu beiden Seiten eines zentralen Treppenhauses zu zweit, zu dritt oder zu viert an einem gemeinsamen Wohnflur lagen. In den zehn Meter tiefen Nutzhöfen gab es je einen Brunnen und Wasserklosetts, Wannenbäder zur kostenlosen Nutzung befanden sich im Verwaltungsgebäude. Die Erdgeschosse sollten teilweise durch gewerbetreibende Mieter als Werkstätten genutzt werden.

Sieht man die Errichtung von Meyer's Hof vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung im Wedding in jenen Jahren, wird deutlich, daß Meyer nicht weniger getan hatte, als sich den Realitäten zu stellen: Zwischen 1871 und 1875 zogen im Wedding fast 20 000 Menschen zu, die sich nur knapp eine kleine Wohnung leisten konnten, die aber in Berlin kaum vorhanden waren. Sowohl Bauherren als auch die meisten Architekten lehnten es ab, sich mit dem Bau von Arbeiterwohnungen zu befassen. Meyer baute seine Wohnanlage mitten in das Industrieviertel zwischen Chaussee- und Brunnenstraße hinein, in dem die Weddinger damals Arbeit finden konnten.

Erst nach dem Tod des Erbauers und dem Verkauf durch seine Erben an die Eisengießerei Keyling & Thomas in der Ackerstraße 129 zu Beginn der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts verkam Meyer's Hof zu dem berüchtigten Ort, als der er noch heute beschrieben wird. Die Eigentümer wollten den Gebäudekomplex abreißen. Doch die Wirtschaftskrise der zwanziger Jahre führte zu einer immer dichteren Belegung der einzelnen Quergebäude und der Wohnungen, da sich die mittellosen Arbeiter und Arbeiterinnen andere Wohnungen nicht mehr leisten konnten.

 

Vermieter torpedieren den Mieterschutz

Auf den Mieterschutz, den die SPD-geführte Regierung Berlins gesetzlich verankerte, reagierten viele Hausbesitzer trotzig mit der Verweigerung auch der kleinsten Instandsetzungsarbeiten, so auch die Firma Keyling & Thomas. Meyer's Hof wurde aufgrund dieser Verhältnisse zum abschreckenden Beispiel der Bauspekulation. Die Zahl der Hinterhöfe jedoch war keineswegs die Regel. Die bestand – wie in fast allen Bezirken Berlins – in ein bis zwei Höfen.

 

Eine angemessene Entlohnung hätte es den Arbeitern in stärkerem Maße ermöglicht, sich an den vielen genossenschaftlichen Wohnungsbauprojekten zu beteiligen, und der Bezirksverwaltung höhere Steuereinnahmen zur Verfügung gestellt, um ihrerseits mehr für die Sanierung alter Wohnbauten tun zu können und mehr billigen Wohnraum zu errichten.

 

Die KPD war nicht bereit zu sehen, daß die SPD gegen die Wirtschaftskrisen, deren Auswirkungen den Arbeiterbezirk Wedding besonders hart trafen, machtlos war und weder die mittelständischen Gewerbetreibenden, die zeitweise selbst um ihr Überleben kämpften, noch die Großindustriellen zwingen konnte, den Arbeitern angemessene Löhne zu zahlen und sich stärker an der Lösung der sozialen Aufgaben zu beteiligen. Eine Enteignung der Großunternehmen, von der die USPD noch geträumt hatte, war auf der Grundlage der demokratischen Verfassung nicht durchzusetzen.

Die KPD-Führung erfuhr ihrerseits gerade im Wedding heftigen Widerstand gegen ihr Vorhaben, die Partei zu „bolschewisieren": Viele Parteimitglieder wehrten sich gegen die zunehmende Abhängigkeit von der Sowjetunion und die stalinistische Ausrichtung der Partei. Die damit verbundenen permanenten Maßregelungen ließen eine gesunde politische Diskussion nicht mehr zu und zersetzten die Partei. In diesem Prozeß wurde eine unabhängige Meinungsbildung unmöglich. Die innerparteiliche Opposition gegen die deutsche Leitung der KPD und gegen Stalin gab der unangepaßten Fraktion den Namen „Weddinger Opposition", die sich bald nicht mehr nur auf die widersprechenden Weddinger Kommunisten bezog, sondern auf alle unangepassten KPD-Mitglieder im Deutschen Reich.

 

So bestimmte nicht mehr allein der soziale Kampf das Leben der politisch engagierten Arbeiter, sondern in dramatischer Weise zunehmend auch die politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeiterbewegung und innerhalb der einzelnen Parteien. „Versöhnler" gab es sowohl auf Seiten der SPD als auch bei der KPD. Doch deren führende Vertreter wurden schnell aus der KPD hinaus gedrängt. Die stalinistische Parteiführung scheute sich nicht, ihre idealistischen Anhänger zu mißbrauchen, wie auch nach dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten Stalin sich nicht zierte, Kommunisten und Sozialisten an Deutschland auszuliefern, die seinen Ansichten widersprachen und zuwiderhandelten.

 

1. Mai 1929 oder: Die KPD findet "Beweise" für die "faschistische Diktatur der SPD"

Der unvergessene Höhepunkt der schweren Auseinandersetzungen zwischen KPD und SPD war der 1. Mai 1929, ein schwarzer Tag in der Geschichte des Wedding und für die beiden großen Arbeiterparteien. Der Berliner Polizeipräsident Karl Friedrich Zörgiebel, SPD-Mitglied, fürchtete gewalttätige Ausschreitungen und verbot öffentliche Demonstrationen anlässlich des traditionellen Arbeiterfeiertages. Nur geschlossene Veranstaltungen durften stattfinden. Zörgiebels Entscheidung war auch in der SPD umstritten. Die KPD widersetzte sich dem Verbot.

So fanden in Berlin die heftigsten Kämpfe seit den Tagen der Revolution 1918/19 statt. Hauptaustragungsorte waren der Wedding und Neukölln. Die Polizei stellte den Straßenkampf, der im Wedding vor allem in und um die Kösliner Straße herum tobte, als Putsch-Versuch der KPD dar. Die KPD ihrerseits interpretierte das brutale Vorgehen der Polizei als Beweis für die „faschistische Diktatur" der SPD. Carl von Ossietzky bezeichnete es in der „Weltbühne" (Nr. 19, 1929) als „hysterische Freiluftübungen".

 

Die Polizei kannte kein Pardon. Sie löste die ersten Versammlungen am 1. Mai 1929 mit Warnschüssen auf. Die Antwort waren Beschimpfungen und aus den Fenstern geworfene Blumentöpfe. Bewaffnet waren die KPD-Anhänger nicht! Nach der polizeilichen Aufforderung, die Fenster zu schließen und die Straßen zu räumen, wurde bei Zuwiderhandlungen geschossen, ohne Ansehen der Person in die Fenster hinein. Die Arbeiter in der Kösliner Straße reagierten mit dem Bau von Barrikaden. Die Polizei stellte ein Maschinengewehr auf. Bis zum 5. Mai wurden die Barrikaden am Wedding umkämpft. 19 Tote und 250 Verletzte zählte man auf Seiten der Arbeiter, keine auf Seiten der Polizei. Weitere Tote und Verwundete gab es in Neukölln.

Die Erbitterung der Arbeiter über das wohl organisierte und überaus harte Vorgehen der Polizisten war berechtigt. Die Toten waren Unbeteiligte und Unbewaffnete, SPD- und KPD-Mitglieder. Der Versuch des Reichsbanner-Mitglieds Max Gemeinhardt, mit den Polizisten vom Fenster aus zu reden, beantworteten die Angesprochenen mit einem gezielten Schuß, der den Mann in die Stirn traf. Der Kaufmann Louis Fröbius kam der Aufforderung, die Straße frei zu machen, nicht schnell genug nach und wurde durch Kugeln in Hals und Rücken getötet.

 

Carl von Ossietzky leitete auf Initiative der Liga für Menschenrechte den Untersuchungsausschuß zum 1. Mai 1929. Die darauf folgende Zeugenbefragung ergab die Schuld der Polizei und des Polizeipräsidenten Zörgiebel. Er mußte zugeben, daß die für unschuldige Menschen tödlichen endenden Aktionen „Überreaktionen" seiner Leute gewesen waren. Für die KPD-Führung wurde der „Blutmai" Symbol des „Sozialfaschismus der SPD". Sie scheute sich aber in den folgenden Jahren nicht, mit den echten Faschisten zusammenzuarbeiten, wenn es darum ging, die SPD zu diffamieren.

Am 17. November 1929 zog erstmals ein NSDAP-Mitglied in die gewählte Bezirksversammlung ein. Für die SPD kamen damals unter anderen Hugo Heimann und Max Urich, der Führer der Berliner Metallarbeiter, in die Bezirksverordnetenversammlung, für die KPD Georg Benjamin. Bei den Reichstagswahlen 1930 erzielte die NSDAP erstmals einen nennenswerten Anteil der Weddinger Stimmen: 9 Prozent wählten die Partei. Bei den Landtagswahlen 1932 erhöhte sich deren Stimmenanteil auf 18,9 Prozent. Die letzten freien Bezirkswahlen vom 12. März 1933 brachten den Nationalsozialisten 30 Prozent der Stimmen ein.


KPD und NSDAP streiken gemeinsam

Beim Kampf gegen die Kürzung der Löhne in der städtischen Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) führten 1932 KPD und NSDAP die streikwilligen Arbeiter gegen das Ergebnis der Urabstimmung (66 Prozent der notwendigen Dreiviertel-Mehrheit) in einen wilden Streik und gegen die Gewerkschaft und die SPD, die beide dem Streik nicht beitraten, da er nicht rechtmäßig war.

Nahe dem Straßenbahnhof in der Müllerstraße wurden Mitglieder des Reichsbanners, die sich dort versammelt hatten, um an einer Veranstaltung im Schöneberger Sportpalast teilzunehmen, in einer gemeinschaftlichen Aktion von SA und Kommunisten zusammengeschlagen. Doch gab es auch damals noch viele KPD-Mitglieder im Wedding, die nicht blind den Anordnungen der Parteiführer folgten, zum Beispiel dem Aufruf Walter Ulbrichts, diese wilde Streikaktion zu unterstützen.

 

Gerhild H. M: Komander

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