Kleinod der Gotik auf dem Land

Die St. Annen-Kirche in Dahlem

Kostbarkeiten besitzt die St. Annen-Kirche. Die Dorfkirche im Berliner Süden beherbergt Reste von Wandmalereien mit Szenen aus dem Leben der Heiligen Anna. Waren böhmische Wanderkünstler am Werk? Haben sie die Bilder Ende des 14. Jahrhunderts hinterlassen?

 

Einhundert Jahre ist es her, daß Hermann Jansen die Pläne zur Parzellierung des Gutes Dahlem veränderte. Der sanfte Ausbau zu Landhaussiedlung und akademischem Viertel „vor den Toren" der Stadt Berlin bewahrte die Dorfkirche vor dem Schicksal anderer Berliner Kleinode, nämlich vom tosenden Verkehr umbrandet und zerstört zu werden. Das hat sie allemal verdient.

Die St. Annen-Kirche zählt zu den bedeutendsten gotischen Kulturschätzen Berlins. Schon einhundert Jahre vor dem Dorf Dahlem wird sie 1275 erstmals urkundlich erwähnt. Sie übersteht die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges, des Siebenjährigen Krieges, der Napoleonischen Kriege, der Befreiungskriege und des Zweiten Weltkriegs, leidlich jedenfalls.

Der erste Bau hat sich vermutlich – wie so oft – im heutigen erhalten, in den Grundmauern, die aus Feldsteinen bestehen. Darüber erhebt sich der Backsteinbau des 14. Jahrhunderts. Der ist zunächst ein flachgedeckter Kubus. Der Chorausbau erfolgt, so wird geschätzt, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

In barocker Zeit bevorzugen die Menschen Symmetrie. Und so dient die notwendige Wiederherstellung nach Beschädigung im eben beendeten Dreißigjährigen Krieg diesem Ziel. Das Schiff erhält um 1679 die gleiche Höhe wie der Chor, ein entsprechendes Gewölbe über vier Joche, und die gesamte Kirche überfängt seitdem ein einheitliches Dach.

 

Backstein löst alle Probleme

Die mittelalterlichen Dorfkirchen Berlins veranschaulichen die Größenordnung, die für die frühesten Stadtkirchen angenommen werden müssen. Die Dorfkirchen sind aber nicht als verkleinerte Stadtkirchen anzusehen, sondern stellen eine eigenständige Lösung dar. Sie lassen auch Einblicke in das mittelalterliche Baumaterial und –handwerk zu.

Feldstein und Backstein werden gleichzeitig nebeneinander verwendet. Dafür ist die Dahlemer Dorfkirche ein schönes Beispiel. Der Nachteil des Feldsteines besteht in seiner schwer zu bearbeitenden Härte im Material und den dazu benötigten Steinmetzhütten. In der Gotik werden diese Schwierigkeiten um so größer, als der Formenreichtum der gotischen Schmuckelemente kaum in den harten Stein übertragbar ist. Weiche Sand- und Kalksteine stehen im Berliner Raum nicht zur Verfügung.

Vermutlich bringen niederrheinische Siedler die neue Technik nach Brandenburg. Sie bauen noch die Havelberger Bischofskirche aus Tuffstein, der in handliche Quader geschnitten über die Elbe bis zur Kirche transportiert wird. Die Verbindungen der das Land kultivierenden Prämonstratenser liefen nach Westen. So ist anzunehmen, daß die technischen Einflüsse auch diesen Weg nahmen. Der erste brandenburgische Kirchenbau, der van Beginn an als Backsteinbau geplant ist, wird der Brandenburger Dom sein. Er zeigt starke künstlerische Einflüsse des Hanseraums.

Wichtigstes Ausgangsmaterial für die Ziegelherstellung ist Lehm, der in hinreichender Menge in den Strom- und Mündungsgebieten größerer Flüsse ansteht. Demzufolge ist die Backsteinarchitektur vor allem eine Bauform der Flußniederungen und des Flachlands. Die Technik ist im Mittelalter allenthalben bekannt. Aber man braucht für eine großangelegte Produktion ein wenigstens in Ansätzen arbeitsteiliges Wirtschaftssystem. Dieses bildet sich erst im 12. Jahrhundert mit der Festigung des Lehnswesens aus. So kann vor allem in den Kolonisationsgebieten östlich der Elbe mit Hilfe des neuen Materials eine Architektur entstehen, die dem hohen Entwicklungsstand der westeuropäischen Sakralarchitektur dieser Zeit entsprach und deren Formensystem wiederzugeben vermag.

Bereits zu Beginn der norddeutschen Backsteinarchitektur im 12. Jahrhundert verwenden die Handwerker ohne eine Experimentierphase eine ausgereifte Mauertechnik, die im fortschreitenden Mittelalter kaum modifiziert wird. Daß dies möglich ist, wird auf die frühere zahlreiche Verwendung von Tuffstein in Dänemark und in den Rheinlanden zurückgeführt, der in handlichen Stücken vermauert wird. Das Format und die Mauertechnik des Tuffsteins übertragen die Handwerker ganz einfach auf den neuen Werkstein, die Ziegel.

 

Die Legende der Heiligen Anna

Kostbarkeiten besitzt die St. Annen-Kirche in ihren Resten an Wandmalereien mit Szenen aus dem Leben der Heiligen Anna, die möglicherweise wandernde Künstler aus Böhmen Ende des 14. Jahrhunderts hinterlassen. Sie bleiben lange unter einheitlichen Farbschichten verborgen, werden durch bauliche Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte schwer beschädigt, doch endlich 1893 wiederentdeckt.

Die Heilige Anna erscheint im apokryphen (später hinzugefügten) Evangelium des Jakobus. Der Evangelist erzählt von den Eltern der Gottesmutter Maria: Anna und Joachim. Die beliebteste Darstellung ist die der Anna selbdritt. Sie zeigt Anna gemeinsam mit Maria und dem Jesusknaben. Ihr hebräischer Name bedeutet Gnade.

Die Wandbilder werden stets in einem Zuge mit der Totentanzfolge in der Marienkirche zu Berlin genannt. Ihre Bedeutung wird noch steigen. Denn die Wandgemälde der Marienkirche sind derart beschädigt, daß ihre Zerstörung fast vollbracht scheint.

 

Gerhild H. M. Komander

 

Der Artikel erschien zuerst im "Berliner Lindenblatt", Oktober 2007

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